Pilzberatung im Rückblick
Viele Jahrzehnte Pilzberatung in Wismar
Mindestens seit den 1950er Jahren wurden in der Hansestadt Wismar Pilzberatungen durchgeführt. Die damalige, von der Kreis – Hygieneinspektion beauftragte für Pilzaufklärung, Annalotte Heinrich (Kreisbeauftragte) und Ortspilzbeauftragter Fritz Wöhlke, begannen damals in unserer Stadt Pilzberatungen, Lehrwanderungen und Ausstellungen zu organisieren.
Viele Menschen waren zu dieser Zeit noch von den entbehrungsreichen Kriegs – und Nachkriegsjahren geprägt und nutzten in größerem Umfange als heute, alles was die Natur an verwertbaren Lebensmitteln zur Verfügung stellte, somit auch reichlich Pilze. Da es aber immer wieder zu schweren Vergiftungen kam, war es sehr wichtig, dass zumindest in den größeren Orten und in waldreicheren Gebieten Pilzberater eingesetzt wurden, an die man sich im Zweifel wenden konnte. Viele ehrenamtlich Beauftragte berieten in der ehemaligen DDR die Leute in ihren Privatwohnungen. Nur wenige hatten das Glück, das ihnen die Kommune eine richtige Beratungsstelle zur Verfügung stellte, so wie es in Wismar der Fall war. Ab jetzt rückte die Pilzberatung viel mehr in das Blickfeld der Öffentlichkeit und jeder aus nah und fern wusste, wo er sich im Zweifelsfall kostenlos Auskunft einholen und beraten lassen konnte. Mit dem Schaufenster eröffnete sich auch eine viel größere Möglichkeit, Pilzaufklärung zu betreiben. Es gab viele Jahre ständig aktuell gestaltete Ausstellungen mit echten und frischen Pilzen. Ein enormer Zeit- und Arbeitsaufwand!
Im Kulturbund der DDR gab es eine Fachgruppe Mykologie, die von Annalotte Heinrich geführt wurde. Hier fanden regelmäßig Ausspracheabende und Diavortäge statt. Auch wurden im Kulturhaus größere Pilzausstellungen organisiert.
Ende der 1970er Jahre musste sich aber die langjährige Kreispilzbeauftragte Annalotte Heinrich aus Altersgründen Sorgen machen um den Erhalt der städtischen Pilzberatungsstelle, denn auch der Ortsbeauftragte Fritz Wöhlke war vor einigen Jahren schon verstorben. Über eine Anzeige in der Tagespresse konnte sie aber ein interessiertes Ehepaar für diese verantwortungsvolle, ehrenamtliche Tätigkeit, gewinnen und dadurch den Erhalt dieser wichtigen Einrichtung für Wismar sichern. Aber da war ja auch noch meine Wenigkeit, mit bürgerlichem Namen Reinhold Krakow, der schon als Kindergartenkind nicht von den Pilzen lassen konnte (was die Erzieherinnen gar nicht so gut fanden). Nachdem ich meine Lehre als Konditor in der damaligen Konsum – Großbäckerei in Wismar abgeschlossen hatte und wohl damit auch die Reife für einen verantwortungsvollen Pilzberaterposten erlangt hatte, sprach mich Fräulein (darauf legte sie viel wert!) Heinrich an, ob ich nicht an der Seite des neu gewonnenen Pilzberater – Ehepaares Steinbrecher, Interesse hätte, die Beratungsstelle mit ihnen zusammen zu besetzen. Ich willigte natürlich sofort ein, denn eine schönere Tätigkeit konnte ich mir kaum vorstellen. Schon als Schulkind löcherte ich die stadtbekannte Pilzfrau mit meinen Fragen und holte mir ständig bei ihr Rat und Sicherheit. Das sie mir das Zeug für einen Pilzberater in so jungen Jahren zutraute, war für mich natürlich eine große Ehre und gleichzeitig auch die Prüfung zum Ortsbeauftragten für Pilzauklärung für die damalige Kreisstadt Wismar. Kreisbeauftragte wurde Sigrid Steinbrecher und ihr Ehemann Heinrich übernahm den Posten eines Ansprechpartners in punkto Pilze auf der damaligen MTW – Werft in Wismar, wo zu dieser Zeit immerhin an die 6000 Menschen beschäftigt waren.
Besonders in den 1970er und 80er Jahren gab es in Wismar auch einen florierenden Wildpilzmarkt. Hauptsächlich im Herbst kamen hier viele Zentner Wald- und Wiesenpilze zum Verkauf. Allen voran große Mengen an Lilastieligen- und Violetten Rötel – Ritterlingen, aber auch Hallimasch, Champignons, Edel – Reizker, Butterpilze, Riesenboviste sowie Stockschwämmchen und sogar Frostschnecklinge waren u. a. im Angebot. Die Menschen waren dafür sehr dankbar, denn Zuchtpilze gab es kaum zu kaufen und wenn, dann meist für gute Kunden unter dem Ladentisch. Auch ich habe zur Versorgung der Bevölkerung mit frischen Wald- und Wiesenfrüchten reichlich beigetragen und mir besonders als Schulkind ein beachtliches Taschengeld hinzu verdient.
Dann kam die Wende. Ich wurde arbeitslos und mein ehemaliger Betrieb dicht gemacht. Dieses Schicksal sollte aber die Pilzberatungsstelle in Wismar nicht teilen, denn jetzt hatte ich unbegrenzt Zeit, mich um den Erhalt dieser Einrichtung zu kümmern. Meine Mitstreiter, die Steinbrechers, hatten ohnehin geplant, in den Ruhestand zu gehen, unabhängig vom Wendegeschehen, so dass ich als Alleinkämpfer weiter machen musste. Da die Grenzen plötzlich offen standen und sich das Leben in vielen Dingen radikal änderte, hatte plötzlich auch kaum noch einer Lust und Zeit in die Pilze zu gehen. Die Pilzberatungen gingen gegen null. Es scheint wirklich kaum noch jemand eine Pilzberatungsstelle zu brauchen, zumal es ab jetzt ständig frische Zuchtpilze am Gemüsestand zu kaufen gab. Aber im laufe der Zeit dürfte sich das wohl wieder ändern und solange wird das Schaufenster mein Aushängeschild sein. Ein Fenster voller lebender, echter Pilze und das noch in allerbester, zentraler Lage, dass war für viele Besucher aus dem In- und Ausland etwas absolut exotisches und es wurde fotografiert, was das Zeug hält. Ich möchte nicht wissen, in wie vielen privaten Fotoalben noch Bilder einer meiner vielen, so leicht vergänglichen Ausstellungen versteckt sind. Jede einzelne ein Unikat mit 30 – 50 Frischpilzen. Immer eine andere Artenzusammensetzung, zwei mal die Woche neu, von April bis November! Diese Resonanz war natürlich Ansporn und Genugtuung zu gleich.
Offiziell war ich als arbeitslos gemeldet, erst als die aller wichtigsten Umstrukturierungen in den Verwaltungen einigermaßen abgeschlossen waren, dachte man auch an mich und überlegte, wie es am sinnvollsten weitergehen könnte, denn die gesetzlichen Grundlagen für die Pilzberatung waren nicht mehr vorhanden. Doch dann ein Lichtblick! Ich bekam vom Gesundheitsamt das erste mal eine ABM. Weitere sollten bis 1999 auf Initiative des städtischen Umweltamtes folgen. Von 1999 bis zum 31.12.2002 erhielt ich sogar eine Festanstellung bei der Stadt.
Dann kam das Aus! Eine Weiterführung der Pilzberatungsstelle sei ab dem Jahr 2003 aus Kostengründen nicht mehr möglich, wurde mir plötzlich, einige Tage vor Weihnachten, aus dem Rathaus mitgeteilt. Auch wäre ich nicht mehr die geeignete Person, um diese verantwortungsvolle Aufgabe weiterhin zu übernehmen, hieß es hinter vorgehaltener Hand!
Warum dieses plötzliche aus? Die Beratungsstelle war zuletzt in eines der ältesten Häuser Wismars untergebracht, das aus meiner Sicht eigentlich hätte schon längst Baupolizeilich gesperrt sein sollen. Das Objekt war schon lange leergezogen. Nach starken Regenfällen (Gewitter) regnete es in dem zwei geschossigen Altbau bis unten durch und ich musste wischen. Bei dieser Gelegenheit bröckelte auch noch der Deckenputz herunter. Die alten E – Anlagen waren hoffnungslos überlastet. Insbesondere wenn ich einen Kühlschrank, ein Dörrgerät, meinen Computer und einen Wasserkocher in Benutzung hatte. Es brannte schließlich der gesamte Sicherungskasten lichterloh, so dass die Feuerwehr anrücken mußte. Eines Tages kam ich in die Beratungsstelle und meine neue, privat finanzierte Computer – Anlage samt Radiogerät wurden mir gestohlen. Im hinteren Bereich des Objektes wurde eine provisorisch mit dünnen Brettern vernagelte, ehemalige Eingangstür, eingetreten. In der Folge konnte ich meinen Arbeitsplatz kaum noch betreten. Depressionen, Wut und Hilflosigkeit waren die Folge. Schließlich machte ich mir mit einem Schreiben an das Rathaus Luft, dass ich unter diesen Umständen nicht mehr bereit wäre, für diese Tätigkeit zur Verfügung zu stehen und dieses wurde mir dahingehend gedankt, dass die Anweisung erteilt wurde, mein Arbeitsverhältnis aufzulösen, anstatt mit mir zu Reden und eine Lösung herbei zu führen. Nicht genug mit dem bisherigen Ärger, jetzt begannen die düstersten Wochen und Monate meines bisherigen Lebens.
Ich saß zu hause und im laufe der folgenden Monate reifte in mir der Gedanke, in die Offensive zu gehen. Es war die Zeit, in der die ersten Hartz Gesetzte zu greifen begannen. Die sogenannte „ICH AG“ schien mir eine Perspektive zu eröffnen, die ich gerne nutzen würde. Etwas erspartes war schließlich auch vorhanden und ich lernte Pilzberaterin Irena Dombrowa kennen und lieben. In der Wismarer ABC Straße stand ein kleines Laden – Lokal zur Vermietung. Ich nahm Kontakt auf und auch das Arbeitsamt fand meine Idee gut. Schautafeln und Aufsteller hatte ich schon im Vorfeld zu hause gefertigt und es musste nun auch eine Bezeichnung für das neue Domizil gefunden werden, denn als städtische Pilzberatungsstelle konnte ich schließlich nicht mehr firmieren. Es sollte eine plastische Bezeichnung sein, die leicht zu merken ist und die sogleich einen direkten Bezug zu unserem Angebot herstellen soll. Da der Steinpilz einer der bekanntesten und beliebtesten Pilzarten ist, fand ich in ihm den perfekten Namen für unser neu geborenes Kind.
Im September 2003 war es schließlich soweit. Der Steinpilz – Wismar öffnete in der ABC Straße 28 seine Pforten.
Aber die ABC Straße 28 erwies sich als zu klein und auf Dauer zu teuer. Gegenüber stand ein Ladenlokal neu zur Vermietung, in dem zuvor ein Schlachterladen untergebracht war. Das frisch sanierte Objekt wurde von der städtischen WOBAU, dem größten Wohnungsbau – Unternehmen der Stadt, angeboten. Wir bekamen den Zuschlag und zogen auf die gegenüber liegende Straßenseite. Dreimal soviel Platz an Gewerbefläche und dazu noch ein geräumiger Keller. Auch erklärte sich das städtische Unternehmen bereit, aufgrund der Gemeinnützigkeit unseres Vorhabens, einen reduzierten Mietzins zu erheben. Dafür ein ganz großes Dankeschön, denn sonst wäre dem Steinpilz auch hier keine große Lebenserwartung beschieden gewesen.
Zur selben Zeit wurde die Gemeinnützige Gesellschaft Wismar e.V. gegründet und Irena und meine Wenigkeit wurden Mitglieder. Unter dem Dach dieses Vereins bildete sich schließlich die Gruppe der Pilzfreunde heraus, mit dem Ziel, das mykologische Informationszentrum zu unterstützen. Insbesondere die großen Ausstellungen und Imbiss – Wochenenden wären ohne die Hilfe weiterer Pilzfreunde kaum zu realisieren. Es finden Vereinsabende und Exkursionen statt. Öffentliche Lehrwanderungen und Pilz – Seminare gehören zu unserem Angebot. Zusätzlich unter fachlicher Leitung von Irena Dombrowa auch Lehrgänge zum Erwerb des Fischereischeins. Pilzkartierung wird weiterhin groß geschrieben. Es gibt individuelle Pilzwanderungen und Aktivitäten mit Schulklassen. Wir helfen Ärtzten und Partienten bei Vergiftungen oder Verdachtsfällen.
Durch unsere Homepage erreichen wir seit Jahren einen großen Kreis von Pilzfreunden im gesamten deutschsprachigen Raum, so dass auch immer wieder Anfragen und neue Kontakte weit über die regionalen Grenzen hinaus zustande kommen. Den finanziellen Unterhalt des Steinpilz – Wismar muss ich allerdings aus meiner Privat – Schatulle bestreiten und dafür sind trotz vergünstigtem Mietzins immerhin etwa 500.00 € monatlich zu berappen. Und das als aufstockender Hartz IV Bezieher! Eine ständige Zitterpartie und privates, wie beispielsweise eine größere Urlaubsreise oder für` s Alter vorsorgen, ist kaum drin. Immerhin bewahren die Vereinsbeiträge und Spenden den Steinpilz Wismar während saisonal bedingter Schwankungen vor dem Untergang.
Wer dieses Ziel unterstützen möchte, kann gerne Mitglied der Gruppe der Pilzfreunde werden oder uns auch mit einer Spende beglücken, denn über diese Homepage können Sie umfänglich an unserem Vereinsleben teilnehmen, auch wenn Sie nicht in unserer Region zu hause sind. Zudem gibt es hier reichlich hilfreiche Informationen für jeden interessierten Pilzfreund und dazu meist sogar noch in aktueller Form, beispielsweise in den Tagebüchern. Wenn Sie uns also unterstützen möchten, dann finden Sie unsere Konto – Daten unter „Förderer und Sponsoren“.
Vielen Dank im Voraus!